Jürgen Plank, Florian Wisser, Thomas Pfeffer und Daniel Wisser produzieren als Erstes Wiener Heimorgelorchester seit mehr als 20 Jahren Elektropop in charmanter LoFi-Version. Das schwedische Zero Magazine hat Daniel Wisser im Interview zum neuen Release Die Letten werden die Esten sein und EWHO:s Bandleben befragt.
Hallo Daniel und vielen Dank für diese Gelegenheit, dich interviewen zu dürfen! Zunächst ein paar Fragen zur Anfangszeit des Ersten Wiener Heimorgelorchesters. Wie und wann wurde das Erste Wiener Heimorgelorchester gegründet?
– Das EWHO wurde 1994 in Wien gegründet und heißt deshalb auch Erstes Wiener Heimorgelorchester und war eigentlich als temporäres Projekt gedacht. Aber wie heißt es so schön: „Nothing is more permanent than the temporary“.
Gibt es einen Bandleader oder seid ihr ein völlig demokratisches Quartett?
– Wir sind völlig demokratisch strukturiert – wohl ein letzter Hauch dieser seltsamen Gesinnung aus den 1990er-Jahren.
Wie entstehen eure Stücke normalerweise? Kommt ein Bandmitglied mit einer kompletten Idee in den Proberaum oder sind die Songs Gemeinschaftsprodukte?
– Das ist ganz verschieden. Es gibt Songs, die weitgehend von einem Bandmitglied entworfen werden und Gemeinschaftsprodukte, bei denen am Ende niemand mehr weiß, was von wem stammt. Wir nehmen oft musikalische Skizzen auf, die manchmal erst nach Jahren zu Songs werden. Im Zentrum stehen bei uns die Orgeln und nicht der Mensch.
Arbeitet ihr mit echten Heimorgeln oder hauptsächlich mit alten, analogen Synthesizern?
– Die meisten unserer Keyboards sind digitale Synthesizer, wie etwa Casio SK-1, Yamaha VSS-30 und viele andere, aber es gibt schon auch analoge Geräte darunter. Wichtig ist für uns, dass die Keyboards klein und tragbar sind, mit Batterien betrieben werden können und einen eingebauten Lautsprecher haben. Es gibt eine kleine Ethik-Kommisson, die überprüft, ob ein Instrument erlaubt ist oder nicht.
Macht ihr die Musik überwiegend für euch selber oder habt ihr ein bestimmtes Publikum im Sinn?
– Wir machen Popmusik. Das bedeutet, dass tanzen, mitsingen, mitgrölen, lachen, weinen und angewidert sein nicht verboten ist. Dabei denken wir zuallerst an uns selbst, aber wir finden immer wieder auch sehr begabtes Publikum vor, dem unsere Songs zuzumuten sind.
Viele von euren Songs haben groovige, minimalistische Basslines, die an DAF und Giorgio Moroder erinnern. Wie sehr seid ihr von der New Wave-/NDW-Szene beeinflusst?
– Wir sind alle in den 1970er-Jahren geboren und daher natürlich von der NDW beeinflusst. Das lustige ist, dass sich die entsprechenden Sounds als Presets in unseren Keyboards finden, die zumeist aus den 1980er-Jahren stammen. Viele dieser Keyboards haben bei Bands wie Trio, Kraftwerk, Human League und anderen Verwendung gefunden.
Welche Bands und andere Künstler hört ihr gerne im Studio? Gibt es vielleicht ein Album, das euch besonders stark beeinflusst hat?
– Ich glaube, am meisten haben uns die Elektronik-Bands und DJs beeinflusst, die in den 1990er-Jahren in Wien sehr wichtig geworden sind. Damals hat man gesehen: Man kann vom Wohnzimmer aus eine Pop-Band sein. Das war unser Anfang.
Soweit ich weiß, ist die elektronische Musikszene in Österreich ziemlich übersichtlich. Seht ihr das als Vorteil oder als Nachteil?
– Bis Anfang der 1980er-Jahre war die Popmusik in Österreich auf Liedermacher beschränkt, die zur Gitarre sangen. In den 1980er-Jahren tauchten mit Falco, Minisex und andere wirkliche Popbands auf. Seit den späten 1990er-Jahren gibt es ein breites Spektrum elektronischer Musik, die allerdings in den letzten 10 Jahren wieder ein wenig aus der Mode gekommen scheint. Wir sind davon relativ unberührt: Erstens, weil unsere Musik – wie schon gesagt – von unseren Instrumenten bestimmt wird. Zweitens, weil wir uns durch die Wahl der Instrumente und unsere Lyrics ganz deutlich von anderen Bands unterscheiden.
Ihr singt fast nur auf Deutsch. Sprachen haben verschiedene Klänge. Passt Deutsch besonders gut zu elektronischen Songs, weil Deutsch eine ziemlich rhythmische Sprache ist? Macht die leichte „Wiener Färbung“ einen Song „weicher“?
– Wir singen zwar nicht im Wiener Dialekt, sondern hochdeutsch, hoffen aber doch die teutonische Härte des Gesangs, wie etwa bei Kraftwerk, durch Schlampigkeit zu transzendieren.
Wie entstehen bei euch die Texte? Viele von euren Lyrics, wie z B “Wurst-Käs-Szenario“, “Uri Geller“ und “Widerstand ist Ohm“, sind gewitzt, komplex und zeigen eine große Sprachverliebtheit. Das lässt einen hohen Zeitaufwand erahnen – oder könnt ihr solche Texte einfach aus dem Ärmel schütteln?
– Nein. Die meisten Texte entstehen über längere Zeiträume. Meist werden viele Varianten gesammelt und dann ausprobiert und verändert. Außerdem steckt dahinter meist eine sprachliche Form oder Idee, die im Song perpetuiert wird.
Würdet ihr eure Musik als „Plattform für eure Texte” beschreiben oder sind bei euch Musik und Text gleichrangig?
– Sie sind gleichrangig, wobei wir schon darauf achten, dass jeder Song ganz eigene, unverkennbare Lyrics hat. Unsere Texte sind zwar auch als Buch erschienen, weil man uns immer wieder gesagt hat, dass sie auch als Gedichte funktionieren. Dennoch leben sie nur in ihren und durch ihre Songs. Viele Ideen für Songs kommen ja auch aus der Popmusik: Etwa der Song “Anton“, dessen Melodie nur aus einem Ton besteht.
Auch die visuelle Seite des EWHO-Projekts ist euch sehr wichtig. Das Album-Layout ist ansprechend und eure YouTube-Videos sind interessant. Ist das EWHO ein reines Musikprojekt oder eher ein umfassendes Kunstprojekt?
– Wir versuchen Songs zu machen, die nicht einfach bestehende Stile kopieren, sondern die Musik der Zeit kommentieren – eine Art Meta-Musik. Daher müssen auch unsere Covers und Videos eine Meta-Ebene beinhalten. Aber Kunstprojekt ist das EWHO definitiv keines.
Brian Eno hat eine interessante Philosophie: „Rely on your mistakes“. Man kann nicht alles planen. Die Musik hat ein eigenes Leben und die „Irrtümer“ sind wichtig. Man kann falsche Töne integrieren und die Musik bewegt sich in eine neue Richtung. Was hältst du von dieser Philosophie? Wie viel improvisiert ihr im Studio?
– Irrtümer spielen bei uns eine wichtige Rolle. Sie entstehen meist durch das Unvermögen des Instrumentalisten. Improvisation gibt es in den Entstehungsphasen unserer Songs schon, sie verschwindet aber dann auf der Bühne und auf dem Album, weil wir schon versuchen, das Geprobte zu reproduzieren.
Ihr seid „Big in Liechtenstein“. Euer Stück ”Vaduz” wurde auf Radio Liechtenstein sehr häufig gespielt, laut Gerüchten sogar mehr als das damals neueste Lied von Robbie Williams. Wie war es, in Vaduz live aufzutreten?
– Wir sind als Open-Air-Band ein Garant für Schlechtwetter. Insofern können wir über den Auftritt in Vaduz nur sagen: Es hat auch an diesem Tag stark geregnet.
Eure Neuinterpretation von Kraftwerks Die Mensch-Maschine-Album ist sehr gelungen. Kraftwerk waren immer Futuristen, aber ihr verwendet gerne altes Equipment. Aber auf der anderen Seite gibt es ganz in Kraftwerk-Tradition von eurem Lied ”Widerstand ist Ohm“ Versionen in verschiedenen Sprachen. Fühlt ihr euch mit Kraftwerk verwandt?
– Der Futurismus bei Kraftwerk war immer sehr ernst gemeint. Insofern ist die Neuinterpretation von ”Radioactivity” als ”Stop Radioactivity” von Ralf Hütter eine problematische Umdeutung, die man nur gelten lassen kann, weil sie von ihm kommt. Unsere Songs sollen weder auf simple Weise unkritisch, noch auf simple Weise kritisch sein. Die Verwandtschaft mit Kraftwerk kommt wohl auch hier vom Instrumentarium und dadurch, dass wir auch vier Männer sind.
Ihr wohnt in Wien und habt ein paar Songs über die Donaumetropole geschrieben. Was bedeutet die Stadt für euch?
– Wir wohnen und orgeln hier und haben dazu natürlich einiges zu sagen. Aber Wien ist für einen Song nicht anders als Vaduz oder Unterpremstätten. Es kommt eben auf den Klang an.
Euer Song „Kastlseer” ist eine sehr lustige Volksmusik-Parodie. Ihr kennt euch gut aus mit Zillertaler Schürzenjägern, Lederhosenträgern und Herrn Silbereisen. Das erfordert ein umfassendes Wissen auf diesem Gebiet. Wie geht ihr bei eurer Recherche eigentlich vor? Nutzt ihr vorwiegend das Internet oder macht ihr euch auch vor Ort ein eigenes Bild – habt ihr „im Namen der Wissenschaft“ Heimat- und Wiesenfeste besucht?
– Es war eine reine Internetrecherche, die äußerst schmerzhaft war. Aber sie musste sein…
Meinst du, dass das EWHO einen unverwechselbaren Sound hat? Wenn ja, wie erkennt man eine „typische Pfeffer-Plank-Wisser-Produktion“?
– Meistens ist die Begleitautomatik unserer Keyboards ein definitiver Hinweis; damit arbeiten wenige Bands. Andere Bands, die auf Keyboards aufgebaut sind, haben meistens dennoch einen Schlagzeuger oder programmieren den Rhythmus auf einer Groove-Box oder am Laptop. Das machen wir nicht. Es ist bei uns verboten.
Daniel, du bist auch als Autor erfolgreich unterwegs, und das EWHO hat sämtliche seiner bisherigen Songtexte auch als Buch veröffentlicht. Gibt es einen beidseitigen Düngereffekt? Kommt es vor, dass man sich selbst im Weg steht, weil man sich nicht sicher ist, ob eine neue Idee besser in Buch- oder Songform zur Geltung kommt, oder spürt man das sehr schnell?
– Es gibt schon einzelne Ideen, die von der Schriftstellerei ins Songwriting übergehen und umgekehrt. Über die Songs entscheidet aber das demokratische Kollektiv – insofern kann ich als Person hier nur Vorschläge machen.
Das neue EWHO-Album heißt Die Letten werden die Esten sein. Ist der Titel nur ein witziges Wortspiel oder hat er auch eine subtile geopolitische Bedeutung, z. B. über die Lage im Baltikum?
– Nein, es geht natürlich um das Weglassen von Buchstaben, wobei hier Wendungen und Phrasen aus Bibeltexten eine Rolle spielen. Es gibt vielleicht eine kleine Anspielung zum Fußball. Franz Beckenbauer soll einmal gesagt haben: „Die Dänen sind keine Holländer. Das hat man sofort gemerkt.“
Wie seid ihr an das neue Album herangegangen? Unterscheidet sich die Herangehensweise zu den Vorgängeralben?
– Nein. Wir haben sehr eingespielte Prozesse, die wir auch brauchen, weil alle vier von uns auch anderen Tätigkeiten nachgehen.
Welche persönlichen Herausforderungen habt ihr euch mit dem neuen Album gesetzt?
– Wir betreiben seit 2015 unser eigenes Label OHM Records und haben einen guten physischen und einen guten digitalen Vertrieb. Das heißt aber auch, dass wir uns um Finanzierung und Promotion selbst kümmern müssen. Da muss man Ressourcen gut einsetzen. Unser Ziel lautet also, das Album gut zu positionieren. Das heißt: Wir wollen unsere Fans erreichen, aber auch Menschen erreichen, die uns noch nicht kennen, unsere Musik aber gerne hören würden.
Gibt es einen Song auf dem neuen Album, der dir besonders wichtig ist?
– Ich denke, der Titelsong ist der wichtigste Song, da er ja auch mit dem Artwork auf dem Cover in Zusammenhang steht.
Der neue Song ”Mensch-Firmenschild“ ist von Kraftwerks “Die Mensch-Maschine“ beeinflusst. Worum geht es in diesem Lied? Gibt’s eine Verbindung zu eurer Mensch-Maschine-EP?
– Im Song ”Ente entfalte dich” spielt das „Aufklappen“ von Worten durch hinzufügen von Buchstaben eine Rolle. Man sagt immer, dass es im Deutschen keinen Reim auf das Wort Mensch gäbe. Wir haben die Auffaltungs-Methode auf das Wort Mensch angewandt und da lag es nahe, auf den Kraftwerk-Song anzuspielen.
Wie sind eure Erwartungen mit Blick auf die Veröffentlichung von Die Letten werden die Esten sein?
– Wir starten einmal mit österreichischen Radios und Printmedien und zwei Präsentationen in Wien und in Graz. In den ersten Wochen ist der Albumverkauf normalerweise sehr gut. Dann wird es davon abhängen, wie gut wir andere Medien und andere Länder erreichen können.
Am 17. Januar wird es eine Album-Präsentation im Theater an der Gumpendorfer Straße in Wien geben. Was wird an diesem Abend passieren?
– Wir treten live auf, was sehr wichtig ist, damit man unsere Orgeln sieht und auch feststellen kann, dass wir tatsächlich keine Sampler, Groove-Boxes oder Computer benutzten. Wir werden das gesamte Album und ein paar weitere Songs spielen, sowie Lyrics vorlesen. Außerdem liest an diesem Tag Antonio Fian, ein bekannter österreichischer Schriftsteller, der die Songtexte zu “Damals“ und “In Fahrtrichtung“ geschrieben hat.
Zum Schluss: Falls es eines Tages ein Zweites Wiener Heimorgelorchester geben sollte – welche ultimativen Survival-Tipps würdest du ihnen mitgeben?
– Man sollte auf keinen Fall das machen, was wir getan haben und tun. Das Erste, was das Zweite Wiener Heimorgelorchester tun sollte ist, sich selbst einen anderen Namen zu geben.